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Still ist der Untergang im "Haus Bellomont"
Regie: Terence Davies
Fast alles ist erlaubt, um zur gehobenen Gesellschaft zu gehören, Intrigen inbegriffen
Foto: film.de
Von Elmar Krekeler
Verkauf dich. Verkauf dich nicht. Verkauf dich. Verkauf dich nicht. So läuft das Leben. Wer sich nicht verkauft, ist verraten. Wer sich nicht verkauft, fällt. Zu versuchen, sein Selbst zu sein, mit allen Fehlern und ohne viel Rücksicht auf Konventionen, kann tödlich enden.
Bevor Irritationen aufkommen: Wir reden nicht vom alltäglichen Selbstbehauptungskampf im globalisierten Alltag anno 2001. Wir reden vom New York anno 1905 und von Lily Bart und von "Haus Bellomont", dem ersten großen Erfolg der US-Schriftstellerin Edith Wharton (1862-1937), den der Brite Terence Davies mit einem Mini-Etat von zehn Millionen Dollar in das Kuriosum eines zeitlosen Kostümfilms verwandelt hat.
Wharton und Davies erstellen das ätzend-kühle Porträt einer Gesellschaft am Scheideweg und einer Frau, die darin und im Zwiespalt zwischen Wollen und Dürfen zerrieben wird. In die extrem puritanisch erstarrten, extrem neuenglischen, durchritualisierten oberen Hundert Manhattans mischen sich immer mehr nach ganz neuen Regeln lebende Neureiche.
Und Lily Bart - nicht mehr jung, nicht gerade reich, aber sehr schön - macht sich auf dem glatten und eiskalten Parkett dieser mobbenden, missgünstigen Gesellschaft auf die Jagd nach einem reichen Gatten. Jedesmal allerdings, wenn sie einen im Visier hat, nimmt sie den Finger vom Abzug. Weil sie den (nicht sehr reichen) Rechtsanwalt Lawrence Selden liebt, weil sie sich nicht verkaufen will.
Es ist still im Haus der Freude (so der Originaltitel), in dem sich Frauen verkaufen müssen, um einen gesellschaftlichen Rang erhalten zu können. Unglaublich still. Langsam vergeht die Zeit, unglaublich langsam. Davies hat Whartons Haus entrümpelt. Nichts lenkt von der Nacherzählung des Untergangs der Lily Bart ab. Nach einer Stunde ereignet erstmals etwas wie Filmmusik, zu einem riesigen Schwenk durch menschenleere Zimmerfluchten und verregnete Gärten, der einem geschlagene drei Minuten den Atem stocken lässt. Akustische Kleinigkeiten bekommen apokalyptische Symbolhaftigkeit in dieser Stille. Sie hält die Ohren frei für die höchst kunstvolle uneigentliche Rhetorik, derer sich das ganze Personal befleißigt: Sie sprechen über alles mögliche, meinen aber ganz etwas anderes.
Überall Brüche. "Akte X"-Star Gillian Anderson lässt sie Mensch werden. Man mag sie nicht wirklich, diese Lily Bart, möchte sie dauernd schütteln, ist aber am Ende unweigerlich erschüttert. Davies folgt ihr mit beklemmender Langsamkeit in den Abgrund, hält so lange die Kamera auf die Gesichter und die Gesten, bis die Risse unter der Schminke verlogener Etikette unübersehbar sind. "Haus Bellomont" ist ein Kostümfilm, der sein Personal bis aufs Mark entblößt. Und der Beweis, dass Literatur möglich ist im Kino. Wie tröstlich.
ENDE
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