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filmtor.de
Alptraum 19. Jahrhundert
Haus Bellomont
Der deutsche Kinostart des Films war ursprünglich auf den 13. 9. 2001 angesetzt, wurde aber wegen der Finanzkrise von "Kinowelt" und "Arthaus" auf einen noch unbekannten Termin verschoben.
Filmkritik von Stefan Gimpel
Dass eine Frau in einer restriktiven Gesellschaft einer vergangenen Ära anderen, nicht weniger gravierenden Problemen ausgesetzt war, zeigt „Haus Bellomont“ (www.arthaus-filmverleih.de). Keine Frau zwischen zwei Männern, vielmehr eine Frau, die, angeleitet durch gesellschaftliche Normen, keine Entscheidung treffen kann. Als es zu spät ist, als sie an finanziellem Ruin und gescheiterter Liebe zerbricht, wenden sich auch die Männer ab, die die attraktive Lebedame zuvor umschwärmten wie die Motten das neu erfundene elektrische Licht.
Nein, „Akte X“ sei ihm kein Begriff gewesen, er habe die US-Serie um außergewöhnliche Phänomene bis heute nicht gesehen. Aber als er ein Bild der weltberühmten Mystery-Agentin „Scully“ Gilian Anderson sah, wusste Regisseur Terence Davies, dass er die passende Besetzung für sein Jahrhundertwende-Gesellschaftsdrama gefunden hatte. „Sie ist das Gesicht des 19.Jahrhunderts.“ Die Schauspielerin, die zuletzt in „Leben und lieben in LA“ nach der Liebe suchte, sagte sofort begeistert zu. Aus „Akte X“ kennt sie die Fußangeln von hinter der nächsten Wegkreuzung lauernden Gefahren. Im New York des Jahres 1905, einem anderen Paralleluniversum, ist dem schönen Schein der gutsituierten, nach festen Verhaltensregeln funktionierenden Gesellschaft nicht zu trauen. „Die Welt ist gemein“, hat eine der übrig gebliebenen Freundinnen der tragischen Heldin Lily Bart (Gilian Anderson) schon längst erkannt. Dabei sucht die durch Spielschulden verarmte, attraktive Miss Bart nur einen passenden, sprich wohlhabenden Ehemann, um ihren Status zu erhalten, auch weil die Uhr der heiratsfähigen Jahre abläuft. „Ehemänner sind wie Geldscheine: Einflussreich, aber still“, lautet ein weiterer, die Freiheit zu Affäre untermauernder Ratschlag. Lily hat ihre große Liebe bereits gefunden: Den gut aussehenden Anwalt Selden (Eric Stoltz). Da er für ihre Außenstände und ihren gehobenen Lebensstandard nicht vermögend genug ist, muss er zusehen, wie sie um reichere Kandidaten wirbt.
Ein subtiles und unter der Oberfläche brodelndes Liebesgeplänkel zwischen Selden und Bart im Park, voller ironischer Anspielungen, endet mit einem Kuss. Diese Liebesbezeugung lässt eine Leidenschaft erahnen, wie sie viele ausgiebige Sexszenen nicht erreichen. Nachdem eine reiche Erbtante sie mit einem mageren Betrag abspeist, erhöht sich der Druck. Zu allem Übel nutzt die angebliche Freundin Bertha Dorset (Laura Linney „You Can Count on Me“) ihre Zwangslage aus, um sie eine noch verzwicktere zu bugsieren. Um die eigene Reputation zu erhalten, behauptet sie, Lily Bart hätte eine Liaison mit ihrem Ehemann. Wenn sie mit den kompromittierenden Liebesbriefen der Schlange Bertha zurückschlagen würde, könnte sie ihren guten Ruf wiedererlangen. Nur sind diese an Selden gerichtet...
Angetrieben von einem heute fast unverständlichen Ehrgefühl, während ihr selber alle Würde genommen wird, gibt sich die Frau als Opfer gesellschaftlicher Verhältnisse der Selbstzerstörung preis. „Bei Edith Wharton sind die Handschuhe ausgezogen und Blut an den Wänden“, begründet der Regisseur die Adaption der Belle-Epoque-Autorin. Im Grunde sei es ganz ähnlich wie bei uns, sagt er und nimmt mögliche Vorwürfe über das Retro-Drama vorweg: „Es geht um Aussehen, Geld und Käuflichkeit. Nichts hat sich geändert. Das ist genau wie in Hollywood, das ist auch völlig abgeschottet, da gibt es gar keinen Unterschied, nur die Kleidung ist anders.“ Es ginge nur ums Geld. „Weil sie soviel investieren, versichern sie einander ständig, wie wundervoll sie doch seien.“ Die Stellung der Frau habe sich zwar verändert, aber gleich sei nach wie vor, und das werde sich auch nie ändern, das moralische Dilemma: Heute sähe das eben anders aus, etwa ob sie Kind oder Karriere den Vorzug gäbe. Gilian Anderson sieht das optimistischer: „Es gibt glücklicherweise mehr Möglichkeiten als damals. In den meisten Ländern sind Frauen nicht mehr auf Leben und Tod von der gesellschaftlichen Etikette abhängig.“ Eine von inneren Konflikten und äußeren Umständen zerrissene Dame der Bourgeoisie hätte man ihr gar nicht zugetraut. Nach sieben Jahren als Scully hatte sie auch Bedenken, umschwenken zu können. „Ich hatte immer
Angst, wie Scully zu lachen. Oder wie Scully zu lachen. Ohne vor Selbstkritik paranoid zu werden, war ganz schön fordernd.“ Auch eine Art von Hollywood-Zwang. Der Brite Davies ist seinerseits jedes Mal froh, wenn er von dort wieder weg ist. Dass er durch die unablässigen Auseinandersetzungen mit den Geldgebern so zermürbt war, dass er zur Waffe greifen wollte, als schließlich das 2-1/2-Stunden-Werk gekürzt werden sollte, merkt man dem Film nicht an. „Ich war ganz ausgepowert und wollte aufgeben. Ich dachte nur, nie, nie wieder“ Neben ausgezeichneten Nebenrollen (Dan Aykroyd („Pearl Harbour“) als schmierige Helfer in der Not) wird Anderson als liebenswerte und bemitleidenswerte Lily neue Anhänger gewinnen. In England kam der Film gut an. Vielleicht auch wegen Anderson, wie Davies glaubt. „Ich kenne Fans, die fast in Ohnmacht fielen, wenn Anderson in Großaufnahme erschien. Eine ist sogar 500 Meilen gefahren, um ins Kino zu kommen. Das ist beängstigend. Es ist nur ein Film. Kein Krebsmittel.“
ENDE
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